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Die Blätter fallen

«Die Blätter fallen,

fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.»

Rainer Maria Rilke

Es ist Herbst geworden. Die Bäume und Sträucher leuchten zurzeit noch in kräftigem Rot und Gelb und geben ein farbiges Bild der Landschaft. Es macht den Eindruck, dass die Natur sich noch einmal in ihrer ganzen Pracht zeigt. Doch die fallenden Blätter, die auf Strassen und Wegen liegen bleiben, erinnern uns unmissverständlich an die Vergänglichkeit alles Lebendigen.

Wenn ich in diesen Tagen unterwegs bin, dann kommt mir das Gedicht des deutsch-österreichischen Dichters Rainer Maria Rilke immer wieder in den Sinn. Er symbolisiert in diesen Zeilen die momentane Jahreszeit und darüber hinaus unser Leben. Ich entdecke darin eine Melancholie, die wohl mit vielen Umständen in seinem Leben zu tun hat und die bekräftigt wird durch die fallenden Blätter. Ob da Sehnsucht mitschwingt, die dem Sommer des Lebens nachtrauert oder etwas noch Ungelebtem?

 

Wir alle fallen

„Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen.“ Das Welken ist in allen, wir werden alle alt und müde. Es fällt alles nach unten, dem Boden zu. Man mag die Arme nicht mehr so oft hochheben und jubeln. Sie werden schwer. Wie vor dem Einschlafen, wenn wir müde sind und alles langsam schwer wird. Um dann in eine Leichtigkeit zu fallen, in den Schlaf, wo wir aufgefangen, geborgen sind:

„Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält“. Diese letzte Strophe des Gedichts vermittelt Hoffnung. Da ist Einer, der sogar diese Fallen in seinen Händen hält. Das bedeutet nicht, dass er es verhindert, dagegen sprechen Herbst und Tod als unabwendbare Phänomene des Lebens. Aber es gibt einen Grösseren, bei dem alles aufgehoben ist.

Pfarrer Alfred Cavelti

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