Ist der Wolf ein gefährliches Tier?
Ein Idealbild, wie mit diesem «gefährlichen» Tier umzugehen ist, liefert uns die Legende der Begegnung des Heiligen Franziskus von Assisi mit dem Wolf von Gubbio: Franziskus ging voller Gottvertrauen auf einen Wolf zu, der Tieren und Menschen schweres Leid zugefügt hatte. Der Heilige sprach das Tier mit «Bruder Wolf» an und konfrontierte es mit der Angst der Menschen. Gleichzeitig zeigte Franziskus aber Verständnis für das Verhalten des Wolfes, der andere Tiere verspeiste, weil er Hunger hatte. Franziskus konnte den Wolf zu einem Kompromiss bewegen und zähmen. Er griff keine Tiere und Menschen mehr an und wurde dafür von den Bewohnern der Stadt versorgt.
Wie meine Schüler:innen das sehen
In den vergangenen Wochen behandelten wir diese Geschichte in verschiedenen Primarschulklassen im Religionsunterricht. Viele Schülerinnen und Schüler waren von Franziskus’ Handlung und dem Ergebnis beeindruckt.
Sie begründeten ihre Faszination dafür unter anderem wie folgt:
– «Franziskus nannte alle Lebewesen Brüder und Schwestern.»
– «Er respektierte alle Lebewesen.»
– «Franziskus ging es darum, dass die Menschen mit dem Wolf Frieden schliessen.»
Franziskus und der Wolf
Die Begegnung von Franziskus und dem Wolf bedeutet nicht, dass wir auf die gleiche Art und Weise versuchen sollen, ein «gefährliches» Tier zu zähmen. Ebenso wenig ist heute ein Idealbild des Zusammenlebens von Menschen und sämtlichen Tieren möglich, wie dies in Jesaja 11, 6-8 beschrieben ist: «Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange.» Es ist in vielmehr wichtig, dass die Menschheit, der Gott seine Schöpfung anvertraut hat, all seinen Geschöpfen Respekt und Würde entgegenbringt. Jedes Geschöpf Gottes soll auf der Erde seinen Platz zum Leben haben.
Die Begegnung von Franziskus und dem Wolf von Gubbio wird teilweise auch so gedeutet, dass das «gefährliche» Raubtier für einen Raubritter stehen soll. Ob es sich beim Gegenüber von Franziskus in Gubbio um einen Wolf oder um einen Menschen handelte, wird nie abschliessend geklärt werden können. Der Heilige wollte uns abgesehen davon bestimmt noch etwas anderes aufzeigen ausser dass jedem Geschöpf Gottes Respekt entgegengebracht werden soll: Friede und Versöhnung, auch mit charakterlich schwierigen Menschen, kann gelingen, wenn wir ihnen mit Gott- und Selbstvertrauen, Respekt, Verständnis für ihre Situation und auf Augenhöhe begegnen.
Marco Bechtiger, Praktikant